Vor 100 Jahren wurde in Hamburg der Schriftsteller Hans Erich Nossack geboren. Sich selbst bezeichnete er einmal als „schwerverdaulichen Bengel” und es sieht ganz danach aus, dass diese Selbsteinschätzung, die nebenbei Auskunft darüber gibt, wie sich Nossack verstanden wissen wollte, auch heute noch zutrifft. Seinem späteren Verleger, Peter Suhrkamp, schrieb Nossack beizeiten: „ich bin zu keinen modischen Publikumskompromissen bereit, ich werde das schreiben, was ich schreiben muss oder was zu schreiben mir Spass macht, und damit gut.”
Ein paar Jahre später sah sich die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung bereits genötigt, den Büchnerpreis an Hans Erich Nossack zu vergeben, „weil sie in seinem Werk einen Dichter erkennt, der sich mit den Fragen unserer Zeit eindringlich auseinandergesetzt und sie in gültigen Beispielen dichterisch überzeugend gestaltet hat.”
Soweit bekannt, geistert Nossack nun seit vierzig Jahren als „Nachkriegsautor” in der Literaturgeschichte herum. Darüber ist beinahe in Vergessenheit geraten, dass Nossack „fünfzig Jahre die politischen Bewegungen unseres Landes mit wachsamen Augen verfolgt hat”. Dies behauptet der Nachkriegsautor jedenfalls in einer Stellungnahme zum Problem des Terrorismus, die er im sogenannten „Deutschen Herbst” verfasste, wenige Wochen vor seinem Tod am 2. November 1977.
Dass Nossack „die politischen Bewegungen unseres Landes mit wachsamen Augen verfolgt hat”, lässt sich aber vielleicht besser an einem anderen Beispiel illustrieren. Es genügt zu diesem Zweck, ein paar vernachlässigte Jugendliche an den kurzgeschorenen Haaren herbeizuziehen, die sich aus irgendeinem Geltungsdrang verfassungsfeindlicher Symbole bedienen. Solche Dumpfbacken finden sich zu Hauf. 1959, als die Kölner Synagoge mit antisemitischen Parolen beschmiert worden war, bemerkte Nossack: „Es ekelt mich, ein Deutscher zu sein.” Vom „Standpunkt Deutschland”, um den man sich sorgt, war die Rede noch nicht. Auch schien das ungeheure Potential für die Medien noch unerkannt, das in den widerlichsten Attacken noch lauert. Trotzdem glaubte Nossack „die absolute Herrschaft der Phrase auf allen Gebieten” schon bewiesen: „Die gesamte Öffentlichkeit, ganz gleich ob durch politische, wirtschaftliche, kulturelle oder kirchliche Sprecher, hat nämlich – krass herausgesagt – ausschliesslich mit der Angst reagiert, einen schlechten Eindruck zu machen, durch den die Konjunktur und das gute Geschäft gestört werden könnte.”
Das bei der Gelegenheit angeschnittene Problem scheint heute vielen Wurst zu sein. Ganz abgesehen von der Frage, wie die Öffentlichkeit denn hätte reagieren sollen auf ein paar Vollidioten, die sich durch was auch immer zu ihren Taten ermuntert fühlten.
Angeödet von alledem kam Nossack zu dem Schluss: „Ich weigere mich, die allgemeine Gesinnungslosigkeit und die Lippenbekenntnisse zu vermehren” und machte sich daran, „das gesprochene oder geschriebene Wort wieder zu vermenschlichen, indem es für den, der es spricht, verbindlich wird, für ihn allein.”
Bernward Reul
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