In der taz wurde unlängst Daniel Dubbes „Außerhalb“ besprochen. Das Buch habe ich nun gelesen. Pflichtgemäß, denn allein der Buchtitel schien mir hinsichtlich eines Autors bedenklich, der es kurz vor seinem Tod noch für bemerkenswert hielt, dass er „fünfzig Jahre die politischen Bewegungen unseres Landes mit wachsamen Augen verfolgt hat“. Ja, sicher, „über Dichtung nachzudenken, erfordert einen räumlichen und zeitlichen Abstand von ihr, ein Davor oder Danach, aber kein Dabei“ (Heinz Schlaffer: „Poesie und Wissen“. Ffm, 1990, S.15). Doch „Außerhalb“ – der Titel passt nicht zu einem Gründungsmitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg, das zudem von 1949-1977 jedes Jahr möglichst vier Mal zur Tagung der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz anreist, gleich, ob aus Hamburg, Aystetten, Darmstadt, Frankfurt oder wieder Hamburg. – Außerhalb von was denn?
Die Frage: „Kennen Sie Nossack?“ halte ich überdies nicht für eine entscheidende Frage. Interessanter sollte es doch sein, warum der vor der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz „Über das Verhältnis der Literatur zu Recht und Gerechtigkeit“ redende Nossack keinen Skandal entfachte, 1968, als er allen Ernstes von sich gab: „Nehmen wir gleich eins der wichtigsten Probleme unserer Tage, das sich unter dem Sammelbegriff ,Auschwitz’ zusammenfassen läßt.“
Selbstverständlich fällt kein Hanseat mit der Tür ins Haus. Doch, dass Daniel Dubbe so gar kein nachvollziehbares Beispiel für die oft erwähnte „Tarnung“ oder das weniger oft erwähnte „Partisanentum“ finden will, jedenfalls keins, mit dem sich etwas für junge Leser anfangen ließe, die sich für N. also interessieren könnten, finde ich äußerst bedauerlich.
Er zitiert zwar: „Unsereiner liest die Bücher anderer aufmerksam lauschend darauf hin durch, ob sich darin ein Hinweis auf das findet, was er selbst zu sagen sich abquält“ und hält dazu fest: „Das ist eine sehr schöne Bemerkung und für einen älteren Mann auch eine sehr jugendliche Art des Lesens“ (356). Doch wozu Daniel Dubbe eine bei Adam und Eva beginnende Biographie schreibt, an der sich zuvor bereits eine Gabriele Söhling (die Herausgeberin der Bibliographie, der Tagebücher und Briefe Nossacks) und eine Susanne Bienwald (Autorin auch des sehenswerten Films „Innenseite eines Außenseiters“), auf je eigene Weise sachkundig entlanggehangelt haben, will sich mir am Ende dieser nicht wirklich erschließen.
Frühe Sätze wie solche mögen den Leser stutzig machen: „Wenn eine Biographie zu irgend etwas nütze ist, dann um den Nachruhm dessen, von dem sie handelt, aufzupolieren oder sogar fest und sicher im kollektiven Bewußtsein zu installieren“ (14), doch sie führen hier nicht weiter: Wie soll ein jugendlicher Leser denn darauf kommen, dass das gar nicht ironisch gemeint ist? Selbst die älteren Leser unter uns tun sich mit dieser Art von Ironie schwer.
In seinem Vorwort stellt der Biograph Dubbe sachlich fest: „Nossack hat sich selber gut dokumentiert. Er ist in seinen Selbstbetrachtungen an keiner Stelle verworren oder verwaschen.“ Mehr noch als Gabriele Söhling scheint er daran zu glauben, dass sich in den Tagebüchern und Briefen „der eigentliche, der echte […] Nossack“ (36) äußert: „Aus frühkindlicher Notwendigkeit im scharfen Blick geschult, wird N. sein Leben lang verschlossen und überaus vorsichtig bleiben. Um so offenherziger ist er in seinen Briefen und Tagebüchern. Die Tagebücher […] sind der Ort, an dem er seinem Bedürfnis nach unverstelltem Selbstausdruck ungehemmt Ausdruck verleihen kann“(37).
Gabriele Söhling hat es in „Hans Erich Nossack“ 2003 ihrerseits auf den Punkt gebracht: „Nossack nannte sich gerne den bestgetarnten deutschen Schriftsteller und legte zugleich Wert darauf, ‚eine Figur zu sein, die sich so eindeutig gibt, daß sie für die später Kommenden ohne Schwierigkeit zu entziffern ist und ihnen kein irreführendes Rätsel wird‘“.
Leider wird die in Dubbes rätselhaftem Buch spät gesetzte zweite Klammer, der Hinweis darauf, dass Nossack eigentlich hatte „Bühnenautor werden wollen“ (361), aus „Späterkommenden“ auch keine „später Kommenden“ mehr machen.
Das sagt sich so dahin.
Nun, es gäbe noch manches zu schreiben.
Das Buch ist nicht schlecht. Ich werde es wahrscheinlich als Erinnerungsstütze für das eine oder andere Zitat nutzen, wo es doch so schön nach Dekaden und in kurzen Kapiteln organisiert ist. Ein Satz über Nossack gefällt mir besonders: „Er selbst ist sein schärfster Kritiker und zugleich sein größter Bewunderer“(221).
Daniel Dubbe
Außerhalb. Das Leben und Schreiben des Hans Erich Nossack.
Günther Emigs Literatur-Betrieb, Niederstetten, 2021