Interview mit Roberto Rossellini (1973 - Berkeley, California)

In einem Gespräch an der NYU erwähnten Sie den Begriff der "essentiellen Bilder" und deren Zusammenhang mit der Herstellung eines universellen Diskurses. Würden Sie das erläutern?

Ich werde Ihnen sagen, was ich - erst vor kurzem - glaube entdeckt zu haben. Was wir "Bilder" nennen, sind in Wirklichkeit nur Illustrationen. Die geistig mechanische Art unseres Denkens ist rein verbal. Wenn man einen Film vorbereitet, ist das erste, daß man ein Drehbuch schreibt. Ein Drehbuch zu schreiben ist ganz und gar verbal. Dann geht man zurück und benutzt die Technik der "Bilder", die Gedanken zu "illustrieren". Zu Beginn unseres Erscheinens auf der Erde, - wir hatten ein Gehirn, das uns befähigte Beobachtungen zu machen, das fähig war, Abbilder, Erfahrungen undsoweiter zu speichern -, fand das Verstehen der Welt über unsere eigenen Augen statt, über die "Bilder", die "essentiellen Bilder". Um uns jedoch dessen zu erinnern, was wir wahrgenommen hatten, mußten wir eine Technik erfinden: die Erfindung der Sprache. Deshalb ist unser dialektisches Denken auf die Worte gebaut und nicht auf Bilder. Zu Beginn war das Bild die einzige Art, Dinge zu verstehen. Die Widersprüche entstanden mit den Worten und dem Denken. Jetzt, wo wir Bilder (Filme) herstellen können, stellen wir diese Bilder für eine Vorgehensweise her, eine geistige Verfahrensweise, die eben verbal ist. Deshalb werden diese Bilder Illustrationen und keine "essentiellen Bilder". Ein essentielles Bild muß alles aus sich selbst sagen.
Was ich versuche, ist eine Art Wiederherstellung: für mich diese Art eines essentiellen Bildes zu finden. Man muß geübt sein, all die Botschaften zu entdecken, die in einem einzigen Bild enthalten sein können. Anstatt etwas zu demonstrieren, möchte ich ein Bild anbieten, durch das der Zuschauer selbst die Dinge erkennt. Normalerweise wird durch die Form eines Filmes alles unterstrichen. "Schau dies an, schau das an, jetzt achte auf das." Wenn man versucht, die Wahrheit herzustellen, darf man überhaupt nicht unterstreichen. Man muß eine Beobachtung der Dinge anbieten.

In Agostini di Ippona zum Beispiel gibt es eine Sequenz mit einem Dampfbad, wo - wenn ich mich recht erinnere - Sie mit einer Totalen beginnen, dann zoomen Sie heran und dann schwenken Sie über Darsteller und Dekorationen. Wenn ein Regisseur an etwas heranzoomt, ist es in den meisten Filmen so, daß er etwas unterstreicht und sagt: "Schau das an". In Ihren Filmen scheint der Zoom oft die Aufmerksamkeit aus etwas anderes richten zu wollen, etwas außerhalb des gerade vorhandenen Bildaus-schnitts oder beobachteten Szene.

Ja, weil ich versucht habe, dem zu folgen, was normalerweise im Leben passiert. Wenn wir sprechen, richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf das, was wir sagen. Wir erinnern uns an fast alles, aber bestimmte Dinge sind uns wichtiger als andere. Also, wenn ich eine bestimmte Art von Satz sage, schaue ich Ihnen direkt in die Augen. Wenn ich umherschaue, auf die Straße schaue, dann deshalb, weil meine Gedanken unbestimmter sind, komplexer sind. Das ist ein völlig anderer Vorgang. Unterstreichen heißt um Aufmerksamkeit bitten.

Um dem Bild eine Spontaneität zu erhalten, sagten Sie einmal, würden Sie die Szene nicht wiederholen, also nicht mehrmals drehen.

Nein, nie. Weil es mir nicht auf Perfektion ankommt. Wenn es einem auf Perfektion ankommt, geht es um einen selber. Dann geht es um dich, dann mengst du dich hinein und willst "etwas zeigen" ["to show"]. Dann bist du es, der in der ersten Person spricht. Manchmal möchte ich völlig verschwinden.

Es scheint, daß dies ein Weg ist, notwendige irrationale oder zufällige Elemente zur rationalen Struktur hinzuzufügen.

Das hat seinen Grund darin, daß alles im Leben zufällig ist. Es ist absichtsvoll [rational] und zufällig [accidental] zu gleicher Zeit. Wenn man beides im Gleichgewicht hält, erreicht man... ich weiß nicht. Meine Filme, die mögen sehr schlecht, schrecklich, ekelhaft oder was auch immer sein, aber in einem bin ich mir nahezu sicher, daß sie sehr wahr sind. Auch wenn ich was Historisches mache. Und die Wahrheit entsteht aus der Nicht-Perfektion. Glaube ich.

In der modernen theoretischen Physik nehmen einige Forscher eine "Gottes-Kraft" an, oder eine wesentliche Lebendigkeit, die den Grundelementen zukommt. Sie denken, daß dies die Begriffe von "Leben" und "Möglichkeit" wiedereinführt, die in der traditionellen Wissenschaft so oft übersehen wurden.

Die Idee eines Schicksals mag ich nicht. Ich bin überhaupt nicht mystisch. In mir gibt es keinerlei Mystizismus.

Wie definieren Sie Mystizismus?

Was ist Mystizismus? Das ist, wenn man sich selbst in Gottes Hände legt. Im Leben ist es das Wichtigste, man selbst zu sein, umfassend aktiv zu sein, umfassend verantwortlich zu sein, daß man sich die Möglichkeit begibt, geschlagen zu werden, angespuckt zu werden und manchmal sogar etwas zu erreichen. Das ist, glaube ich, aufregender. Wenn man sich in die Hände Gottes, oder des Schicksals oder irgend so einer Sache legt, ist das irgendwie die Haltung eines Feiglings. Und Feigheit mag ich überhaupt nicht.

Um auf etwas anderes zurückzukommen, es scheint, daß das "essentielle Bild" etwas ist, was an unseren Ursprüngen vorhanden war, dann kamen Worte dazwischen. Nun gehen Sie dorthin zurück.

Man muß das tun, will man eine völlige Unschuld erreichen, will man wirklich wie ein Kind sein. Wenn man sich auf die Ebene eines Kindes zurücknehmen kann, diesen Enthusiasmus, den Kinder haben, und gar nicht mehr als das, das ist für das Leben wesentlich.

Keine eingeschliffenen Erwartungen.

Keine eingeschliffenen Erwartungen, keine Botschaft, kein... , fortwährend auf der Suche sein.

Kann das gewöhnliche Publikum...

Das gewöhnliche Publikum, was ist das? Die sind wie wir. Die sind auf gewisse Dinge trainiert. Trainiert wie Pferde im Zirkus. Wenn man ein Pferd trainieren will, bleibt man auf dem Niveau des Pferdes? Wenn man etwas tun will, muß man es tun. Was solls, wenn man den Erfolg jetzt nicht hat?

Das ist der Punkt. Filme sind Bestandteil unseres Lebens. Wir sprechen auf Ihre Bilder persönlich an, sind durch sie außerordentlich bewegt. Wir wollen anderen helfen können, dafür offen zu sein.

Jeder will das. Wenn man jedoch den Erfolg sucht, ist man nicht unschuldig... daran ist kein Zweifel. Wenn man wirklich wie ein Kind sein will, dann zählt nur eins, das ist der Enthusiasmus und sonst nichts. Sonst wird man sofort Opfer des Systems. Man ist mit dem System verbunden. Man ist mit einer bestimmten Art geistiger Abläufe, die konditioniert ist, verbunden.
Sie sehen, ich bin völlig davon überzeugt, daß unsere Zivilisation am Ende ist. Wir haben keine Möglichkeit, unsere Zivilisation zu retten. Weil jede Zivilisation auf ganz wenige Ideen gebaut ist, ganz wenige Wege kennt, die Dinge in eine bestimmte Richtung zu treiben. Bis man ein großes Stück Land völlig erforscht hat, gibt es die Möglichkeit voranzugehen. Ist die Erforschung zuende gebracht, ist es aus. Endgültig aus. Und die Zivilisation stirbt wie ein menschliches Wesen. Auf der ganzen Welt ist der Tourismus darauf gegründet, die Leichname alter Zivilisationen aufzusuchen. Ich habe das Gefühl, daß wir uns völlig am Ende unserer eigenen Zivilisation befinden.

Sehen Sie etwas, das geboren wird?

Ich weiß nicht. Ich weiß nicht. Eines ist sicher, wir wollen überleben und wir werden überleben, aber alles wird sich ändern. Alles wird sich ändern. Es ist so lächerlich, alles richten wir auf Erfolg ab, aufs Geldmachen, auf ähnliche Dinge. Das ist ein völlig absurdes System, das Gutes und Schlechtes hervorgebracht hat. Wir haben ein ungeheures Instrument: unser Gehirn. Ein wirklich intelligenter Mensch nutzt nur 10% seines Gehirns. Unsere Aufgabe ist es, mithilfe unseres Gehirns die natürlichen Ressourcen zu nutzen. Wenn man sein Gehirn benutzt, weitet man seine Sicht. Man erweitert die Möglichkeiten. Man vergrößert das Abenteuer im Leben. Es ist viel aufregender.

Dabei muß ich an die Art denken, mit der Sie Ereignisse in Ihren Filmen behandeln. In La Prise du Pouvoir par Louis XIV zum Beispiel, wenn sie den Minister wegbringen, sieht man dies in einer Totalen durch ein Fenster, als ob nicht das aktuelle Geschehen wesentlich wäre, sondern die Töne, das Echo. Ähnlich in Agostini di Ippona, wenn die Leute von den Dieben angegriffen werden, dann sieht man das nur aus weiter Entfernung. Das scheint mit der Idee übereinzustimmen, sich nicht auf eine besondere Aktion zu konzentrieren.

Man kann sich auf die Aktion konzentrieren, wenn man Erfolg haben will. Das ist aber ein völlig anderes Ziel. Ich habe nichts gegen dies Faktum. Aber jeder sucht den Erfolg. Ich suche nach etwas anderem.

Haben Ihre Projekte über die Dritte Welt mit Ihrer Idee vom Ende dieser Zivilisation zu tun?

Sicherlich. Sehen Sie, was wir eine unterentwickelte Welt nennen, ist eine wirkliche Welt, der gegenüber wir gar keine Zivilisation sind. Wir haben ein System errichtet, aber keine Zivilisation. Zivilisation meint, daß man eine bestimmte Art von Stoffwechselprozeß hergestellt hat zwischen dem Leben, den Bedürfnissen, den Wünschen, den Träumen, dem Aberglauben, den Ängsten... weil all dies Elemente des Lebens sind.

Sehen Sie China als Teil der Dritten Welt?

Sicher ist es Teil der Dritten Welt. Es ist eine alte Zivilisation, oder eine neue, ich weiß nicht... Erst kürzlich habe ich etwas erlebt, in Afrika, in der Wüstenzone (Niger, Chad undsoweiter). Ich hatte meinen Sohn zu Aufnahmen dorthin geschickt. Dort sind diese Dinge völlig offensichtlich. Unter den Eingeborenen, die mit unserer Zivilisation verbunden sein wollen, kann man nackte schwarze Jungen sehen... mit Schlips... nackt! Das bedeutet eine bestimmte Art damit umzugehen, einen bestimmten ökonomischen Zusammenhang. Die "Wüste" dort wird von diesen Leuten gemacht. Zum Beispiel wissen Sie, daß die westlichen Länder weniger tierisches Fett und mehr Erdnußöl verbrauchen. Also pflanzen sie Erdnüsse. Das zerstört das Land, das natürliche Land, das natürliche ökologische Gleichgewicht. Letztlich verursachen die Erdnüsse die Trockenheit. Die Bevölkerung dort stirbt, sie leidet, man weiß nicht, was zu tun ist. Auf demselben Fleck gibt es andere Gruppen von Ureinwohnern, die mit ihrer eigenen alten Kultur eng verbunden sind, und die leben gut. Für sie ist die Trockenheit eine zufällige Erscheinung, die eines Tages vorüber sein wird. Aber sie überleben, das Leben bleibt unberührt. Das, sehen Sie, ist das Gleichgewicht der Dinge.

In welchem Ausmaß gehen diese Ideen bewußt in Ihr Denken ein, wenn Sie einen Gegenstand, ein Grundthema auswählen und mit der Herstellung Ihres Filmes beginnen?

Wenn ich arbeite, wähle ich zwischen Fakten aus. Fakten sind Fakten. Ich bringe die Dinge zusammen. Ich will keinerlei Botschaft verkünden. Ich will keinerlei Art von Philosophie vertreten. Ich will die Beobachtungen anbieten, jenen anbieten, die diese Dinge ansehen wollen, Dinge wie sie sind. Also überhöhe ich sie nicht, übertreibe sie nicht. Ich mache gar nichts mit ihnen.

Deshalb sind Ihre Filme sehr außergewöhnlich.

Ich weiß nicht, ob sie außergewöhnlich sind oder nicht.

Wie kann die moderne Wissenschaft der Dritten Welt helfen?

Wie kann die Dritte Welt der Wissenschaft helfen? Das ist die Frage. Was ist Wissenschaft? Wissenschaft heute, das sind eine Menge Spezialisten. Ein Spezialist, wissen Sie, ist nur eine andere Art, ein Idiot zu sein. Er ist eine andere Art Dummkopf, ein neuer Dummkopf. Die Wissenschaft als Ganzes ist etwas anderes. Die Wissenschaft als Ganzes ist völlig unbekannt, keiner kennt sie, also existiert sie nicht. Was also die Dritte Welt versucht, das ist, eine umfassende Sicht zu haben. Wir sind schizophren, sie sind überhaupt nicht schizophren. Sie versuchen das Ganze zu sehen. Wenn man den Aberglauben und ähnliches sich ansieht, dann hat das alles damit zu tun, mit dem Ganzen verbunden zu sein. Wir aber befassen uns nie mit dem Ganzen, wir befassen uns mit Details. Das ist wirklich sehr kastrierend.

Natürlich sind diese Ideen auch in Ihren früheren Filmen enthalten, wie Viaggio in Italia, wenn die Leute auf die Ruinen von Pompeji schauen und auf die Statuen.

Film ist gar nichts. Filme zeigen, wie der Mensch ist, nichts weiter. Ich weiß nicht warum, aber ich bin so. So zu sein, das ist für mich spannend. Sehen Sie, die Hauptsache ist, jeden langweiligen Augenblick im Leben zu vermeiden. Ansonsten, alles andere bedeutet gar nichts. Es ist eine richtige Manie bei mir, nie einen langweiligen Augenblick haben zu wollen. Wenn man in einer Unternehmung steckt, hat man keine Zeit gelangweilt zu sein.

Agostini di Ippona ist eine außerordentlich starke Filmerfahrung, insofern der Film über jede festgefügte Sicht einer bestimmten Geschichtsperiode hinausgeht.

Sehen Sie, wir stehen am Ende einer Zivilisation und am Beginn einer neuen Art Zivilisation. Erinnern Sie sich im Agostini an den Zerfall des römischen Imperiums, die Ausdrucksformen der Leute, das Theater, waren den unseren sehr ähnlich. Der heilige Ambrosius predigte damals gegen Frauen, die wie Männer gekleidet gingen, gegen Männer, die wie Frauen ge-kleidet waren, oder gegen gleichgekleidete Männer und Frauen. Genau das geschieht heute. All das hat eine bestimmte Bedeutung. Es ist Verkleidung. Es ist die Art, einer klaren Identifikation, einer klaren Orientierung zu entfliehen. Wenn man im Schlamassel steckt, wenn man verwirrt ist, wenn man leidet, wenn man verloren ist, dann sind das die Situationen, in denen man höchstwahrscheinlich so fühlt.

Wir schätzen diese Ideen als Ideen. Aber das Erstaunliche ist die Umsetzung in Ihre Kunst.

Die Kunst, was ist das? Eine bestimmte Art der Denkfähigkeit. Das Wesentliche ist das Denken, die Fähigkeit sich auszudrücken, wenn man klare Ideen hat. Wenn man klare Ideen hat, findet man auch eine Möglichkeit sich auszudrücken.

 

 

Rossellini in der Diskussion (1973 - Berkeley, California)

 

In Europa gibt es diese Leute, die in aller Unschuld denken, daß sie die "Linke" repräsentieren. Es gibt nichts, das noch reaktionärer wäre als diese Art "Linke". Wenn sie jemand beschimpfen können, denken sie, das ist "links". Das ist es aber nicht. "Links" ist, eine neue Idee haben, fortschrittlich sein, in die Zukunft schauen. Die einzige wirklich reale Zeit ist die Zukunft.

Würden Sie jemals einen "politischen" Film machen?

Ich glaube, daß alle meine Filme absolut politisch sind. Es ist heute üblich Propaganda und Politik miteinander zu vermengen. Sie haben jedoch nichts miteinander gemein. Propaganda ist immer eine ganz schlimme Sache. Sie spielt mit der Schwäche der Leute. Man kann die Menschen in zwei Gruppen teilen: jene, die an den Menschen glauben, und jene, die nicht an den Menschen glauben. Ich glaube an den Menschen... Ich gehe nie ins Kino, weil ich keine Zeit dafür habe. Ich arbeite wie verrückt. Das Filmemachen ist ein sehr kleiner Teil meiner Aktivitäten.

Was sind andere Ihrer Aktivitäten?

Zuallererst: mehr zu wissen. das ist meine Hauptaktivität. In der Welt umherzufahren, um direkt, mit meinen eigenen Augen hinzusehen, Neuigkeiten zu sammeln... darin besteht meine Hauptaktivität.

Warum arbeiten so viele junge italienische Filmemacher für die RAI?

Fernsehen ist in Italien eine staatliche Organisation, ein Monopol, ein Staatsmonopol, deshalb kann man sie dauernd angreifen. Es ist so schön und wunderbar, die Regierung anzugreifen. Es ist aufregend und amüsant. Die Regierung ist immer sehr schwach, weil sie jedermanns Zustimmung haben will, deshalb sind sie leicht zu erschrecken.

Haben die Filmemacher viel Freiheit?

Ja, sie haben Freiheit. Wissen Sie, Freiheit ist etwas absolut Persönliches. Man ist frei, wenn man den Mut hat zu kämpfen. Wenn man ängstlich ist, ist man nicht frei. Das ist es. Jeder versucht, deine Freiheit einzuschränken; wenn du aber den Mut hast, kann dir keiner was nehmen.

Was denken Sie darüber, daß Ihnen nicht die Anerkennung zuteil wird, von der die meisten, gerade Filmstudenten glauben, daß sie Ihnen zusteht?

Ich will Ihnen eines sagen. Wenn ich Erfolg habe, krieg ich Angst. Ich weiß, irgendwas ist falsch.

Warum?

Wenn man etwas Neues macht, darf sich der Erfolg nicht sofort einstellen. Was ich mir für mein Leben zur Hauptaufgabe gemacht habe, das ist, immer ein Wagnis einzugehen. Wenn man Erfolg hat, heißt das, daß man etwas gar nicht so Neues macht.

Gibt es irgendwelche gemeinsamen Faktoren unter den Leuten, über die Sie die letzten Filme gemacht haben? Pascal, Descartes, Ludwig XIV...?

Was ich versuche zusammenzustellen, das ist, wissen Sie, die Bewegung der Menschen in der Geschichte. Ein großer Ozean von Leuten verharrt im Stillstand und manchmal entsteht eine neue Idee und es wird ein kleines Stück einer neuen Bewegung daraus. Nach diesen Dingen suche ich. Niemals würde ich Pascal oder Descartes oder irgendeine Figur machen, weil ich sie mag. Ich mag sie überhaupt nicht. Es ist mir egal, ob ich sie mag oder nicht. Ich wähle die Dinge danach, wie nützlich sie zum Verständnis eines Vorgangs sind. Über Pascal einen Film zu machen ist irgendwie selbstmörderisch. Er hat in seinem Leben kein einziges Mal mit jemanden geschlafen, also können Sie sich vorstellen, welch langweilige Person er war. Immer krank, Kopfweh, Magenweh, fußkrank. Und wenn er wirklich litt, dann löste er geometrische Probleme, um sich Erleichterung von seinen Schmerzen zu verschaffen, oder er dachte an Gott. Wirklich die allerlangweiligste Person. Aber er hat etwas gemacht... die Menschen haben sich überhaupt nicht geändert. Es ist leichter, uns in der Geschichte zu betrachten, weil wir emotional nicht drinstecken.

Haben Sie Filme gemacht, in der Sie emotional involviert waren?

Nein, niemals.

Sind Sie zufrieden mit den meisten Ihrer Filme?

Ich weiß nicht. Ich habe nie einen meiner Filme gesehen. Ich sehe den Film im Schneideraum, dann ist er für immer beendet.

Können Sie etwas über Ihre Filme mit Ingrid Bergman sagen?

Das arme Ding, sie war sehr unglücklich mit mir. Sie sagte: "Du willst nur, daß ich gehe. Ich aber will 'spielen'."

Wenn Sie weder ihre eigenen noch andere Filme sehen, wie kamen Sie dann auf das Filmemachen als Ausdrucksmöglichkeit ihrer Suche nach Wissen?

Ich weiß nicht. Ich habe damit angefangen. Es ist die einzige Sache, von der ich weiß, wie man sie macht.

 

 

 

Aus: Take One, Volume 4, Number 4 (1974). Übersetzung: Rainer Gansera.